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Das Ganze ist mehr
als die Summe der Teile

Lothar Lambert im Gespräch über
„Alle meine Stehaufmädchen“

 

Wie ist die Idee zu dem Film entstanden? 

Ich hatte 2008 diesen Kurzfilm mit und über Hilka Neuhof, „Hilka will noch“, gedreht. Dann dachte ich, daß ich genug Frauen kenne, über die ich auch so etwas machen könnte. Aber kurze Filme sind ja ganz schwer vermarktbar, noch schwerer als meine Filme generell. Da lag die Idee nahe, einen längeren Film zu produzieren, wo dann auch Hilka noch mal auftaucht, aber unter anderen Aspekten. Ihre Neigung zum Nacktsein wird nur noch in einem Eröffnungssatz angesprochen: Daß ich sie quasi als Exhibitionistin entdeckt oder das aus ihr rausgeholt habe, was sie dann auch nicht verneint, höflicherweise.

Oder generell ihre Neigung zu unkonventionellem Benehmen. In „Alle meine Steh­aufmädchen“ wird ja diese Szene beschrieben, wo sie durch ein Restaurant läuft und dabei gedankenverloren den Rock lüpft, um ihre Unterkleidung zu ordnen.

Unkonventionell war sie in gewisser Weise schon immer, trotz ihrer auch vorhande­nen kleinbürgerlichen Vorstellungen, die ja dann sehr deutlich werden im Gespräch mit Isolde Josipovici, die anscheinend ihr ganzes Leben an der sexuellen Front gelebt hat.

In gewisser Hinsicht war sie ein Kind ihrer Zeit.

Ja, eine Vorreiterin, in vielerlei Beziehung. Dieses Gespräch über Sex auf dem Billardtisch bei einer Party und lesbische Erfahrungen war übrigens ein Nachdreh: Als ich bei Isolde Josipovici mal wieder zu Besuch war, kamen wir durch Zufall dar­auf, daß sie sexuelle Erfahrungen mit dem eigenen Geschlecht gemacht hat. Ich hatte sowieso das Gefühl gehabt, der ganze Film wäre dafür, daß ich ein schwuler Regisseur bin, in dieser Beziehung ein bißchen zu aseptisch geworden. Ich sagte: Wieso hast du mir das denn nicht erzählt, als wir unser Interview gemacht haben? Das ist doch hochinteressant! Sie antworte­te: Du hast mich ja nicht danach gefragt. Also mußten wir nachdrehen. Dann dachte ich, vielleicht ist es weniger peinlich, wenn statt mir eine andere Dame ähnlichen Alters und ähnlicher Erfahrungsbreite das tut. So ist dieses unerwartet originelle Gegeneinander statt Miteinander der beiden Frauen entstanden.

Hilka Neuhof war aber vorbereitet gewesen?

Weiß ich jetzt nicht mehr. Ich denke, sie wußte, sie sollte Isolde Josipovici ein bißchen lockern.

Über deren Berichte wirkt Hilka Neuhof dann sehr überzeugend erschüttert.

Das war sie auch. Sie hat tagelang immer wieder damit angefangen: Also ich kann das nicht fassen, ich krieg das nicht zusammen. Wie kann man nur? Ich versteh das nicht!

Du hast alle Frauen, die du in „Alle meine Stehaufmädchen“ portraitierst, schon vorher gekannt?

Marion Antoniadis hab ich durch den Maler Schädelwaldt kennengelernt, der ja eine Hauptrolle in meinem letzten Spielfilm „Im tiefen Tal der Therapierten“ hatte und sich immer gern ein bißchen wie ein Regieassistent von mir gebärdet. Als er wußte, ich drehe „Alle meine Stehaufmädchen“, prüfte er die Damenbekanntschaften, die er mach­­te, ob sie für mich interessant sein könnten, und stellte sie mir gegebenenfalls vor. Marion Antoniadis habe ich beim Interview zum ersten Mal getroffen, und sie hat gleich so losgelegt – da war gar kein anfängliches Fremdeln. Dadurch, daß sie an diesem Wettbewerb „Stars over 40“ teilgenommen hat, hat sie noch Abwechslung in den Film hineingebracht und auch mit die schönsten Szenen.

Die Machart dieser Dokumentation ist für deine Verhältnisse eher konventionell. Es gibt etwa keine Spielszenen, anders als in „Ich bin, Gott sei Dank, beim Film“, dei­nem Eva-Ebner-Portrait. Zwar sieht man hier beispielsweise Claudia Jakobs­hagen und Sylvia Schmid auf der Bühne. Aber das dokumentiert ja deren Arbeitsalltag.

Wie bei „Hilka will noch“, der ja auch ganz konsequent nur daraus besteht, die Frau an einem Platz sitzend aufzunehmen, wollte ich ursprünglich auch hier alle Damen nur irgendwo hinsetzen und mit ihnen reden. Dann hab ich aber gemerkt, daß das zwar auch auf eine Art interessant, aber nicht mein Ding ist. Andere Regisseure hätten die Frauen sogar vor eine schwarze Wand gesetzt. Aber ich wollte doch ein bißchen mehr Leben drin haben und nicht so einen starren Kunstanspruch. 

Und woher kennst du die Frauen nun?

Marion Antoniadis hab ich erzählt. Erika Rabau und Hilka Neuhof sind bewährte und langgediente Darstellerinnen in meinen Filmen. Karin Reum-Lahrem und Anne-Marie Chatelier kenne ich auch durch Schädelwaldt, der ja im Film auch einmal mit letzterer zu sehen ist. Ilona Fath ist meine Hauswartsfrau. Silvia Schmid und Claudia Jakobs­hagen kenne ich von der „Kleinen Nachtrevue“, wo ich ab und zu bin: die Besitzerin des Theaters und ihre Hauptdarstellerin. Isolde Josipovici engagiert sich ja für den Betrieb der Berliner Brunnen. Vom Brunnen auf dem Ernst-Reuter-Platz hatte sie die Fliesen gerettet und Künstler gebeten, diese zu bemalen, um sie dann zu ver­stei­gern. Da hat mich Hilka mit ihr zusammengebracht und ich habe ein paar Flie­sen be­malt. Irene Schweitzer kenn ich schon lange, noch durch Evelyn Künneke. Sie ist ein Urgestein aus der Bleibtreustraße.

Sie ist ja vor geraumer Zeit schon mal bei dir aufgetreten, 1997 in „Blond bis aufs Blut“.

Ja, in ihrem Laden, wo eine der Hauptfiguren Marion Michael trifft. Evelyn Sommer­hoff kenne ich durch eine andere Schauspielerin von mir, Christiane Nalezinski: Die beiden arbeiten in einem Projekt in der Schlesischen Straße, wo Evelyn Malkurse für Kinder gibt. Bei dem Sommerfest dieser Institution sah ich sie und fand sie so ein­drucksvoll, daß ich sie gefragt habe, ob sie mal bei mir mitspielen wolle. Dann hat sie fünf, sechs Jahre gewartet, bis ich – für „Im tiefen Tal der Therapierten“ – wirklich auf sie zugekommen bin. Ich hab sie immer eingeladen zu Premieren, und ohne zu kla­gen ist sie gekommen und hat sich gefreut über die Einladungen, ohne zu drängeln, wann sie denn nun vor die Kamera kann. Das fand ich sehr angenehm, weil ich auch Leute kenne, die sich anders verhalten.

Du hast nicht in Erwägung gezogen, einer dieser Frauen mal einen längeren Film zu widmen? Du hast mal erzählt, bei Erika Rabau dächtest du nicht daran, weil sie über Teile ihres Lebens nicht sprechen will.

Es fehlt mir da an Offenheit. Es hat ja jemand eine abendfüllende Dokumentation über sie gemacht, der dann auch an dieser Klippe, glaube ich, gescheitert ist und sich deshalb auf ihre Arbeit als Photographin bei der Berlinale beschränkt hat. Ich hab’s immerhin geschafft, daß Erika sagt, daß sie Tabubereiche hat. Das war schon ein großer Fortschritt, das hatte sie vorher noch nie zugegeben. Es ist ja eigent­lich nicht meine Art, so diskret zu sein, aber irgendwie hab ich doch gespürt, daß das so traumatisch ist, was sie da verbirgt, daß ich nie gedrängelt habe. In „Alle mei­ne Stehaufmädchen“ spricht Isolde Josipovici von ihrem jüdischen Mann im La­ger, da habe ich Erika zwischengeschnitten mit ihren Geheimnissen. Ich dränge dem Zu­schauer also auf, sich zu denken, daß ihre Verweigerung mit der Zeitgeschich­te zu tun hat.

Ihr Geburtsjahr hält sie ja auch geheim?

Ja. Das nimmt sie mir auch übel, wenn ich über ihr Alter spekuliere.  

Das Alter der anderen Frauen im Film nennst du aber auch nicht?

Bei denen hat’s mich nicht interessiert. Sie machen ja wohl kein Geheimnis daraus, dann ist es nicht so interessant.

Die meisten der Frauen hatten oder haben Probleme mit Männern, sind inzwischen alleinstehend und wollen es auch bleiben. Aus so einer Haltung heraus: Ich hab die Nase voll, das brauch ich nicht mehr.

Danach hab ich die Frauen aber nicht ausgesucht, sondern das gehört zu den Dingen, die bei den Gesprächen herauskamen.

Könnte es aber sein, daß solche Frauen besonders interessante Persönlichkeiten sind?

Ich denke einfach mal, wer ’ne intakte Familie hat, hat doch gar nicht Zeit und Lust, sich in seiner Freizeit mit einem Film zu beschäftigen. Der ist voll ausgelastet. Die von mir portraitierten Frauen haben ja auch nicht durch Zufall oft mit künstlerischen Projekten zu tun. Da liegt es nahe, sich darzustellen. Und auch der Versuch, so ei­nen Film als Werbeforum zu benutzen. Da mußte ich natürlich aufpassen, daß die Frauen nicht aus Angst davor, ihr Image zu beschädigen, interessante Sachen ver­schwei­gen.

Oder Dinge erfinden.

Na ja, aber das find ich nicht so schlimm. Wenn sie’s glaubwürdig erfinden, dann merkt’s ja keiner. Vielleicht haben sie das auch getan. Aber ich glaub nicht. 

Wie praktisch alle deine Filme ist auch dieser in Berlin verankert, wieder einmal stehen Frauen im Mittelpunkt, zur Gliederung bedienst du dich Zwischentitel… 

Das Drehen mit den einzelnen Damen war total unkompliziert. Schwer war es, dem Film eine Struktur zu geben. Das Schneiden war wieder so ein Abenteuer. Das ist überhaupt immer das Reizvolle an den Dokumentationen, im Vergleich zu den Spielfilmen. Dort hast du eine gewisse Reihenfolge, die du mehr oder weniger einhalten mußt, selbst wenn du kein Drehbuch hattest. Aber beim Dokumentarfilm, der ja eigentlich der Wahrheit, der Realität verpflichtet ist, kannst du viel mehr mit der Realität spielen als in einem Spielfilm. Das ist das Spannende für mich. Bei „Alle meine Stehaufmädchen“ war von vornherein klar war, daß ich die verschie­de­nen Schicksale miteinander verweben wollte. Das Problem war, mein Pulver nicht gleich am Anfang zu verschießen, sondern – obwohl ja keine Dramaturgie als solche drin ist in der Geschichte – noch eine kleine Steigerung zu schaffen oder die Neugier zumindest über sechzig, siebzig Minuten aufrechtzuerhalten. Daran hab ich mit Albert Kittler, mit dem ich bei Kamera und Schnitt seit über zwanzig Jahren zusam­men­arbeite, sehr lange gepuzzelt, immer wieder umgestellt und gekürzt. Man konnte auch nicht bei jeder Frau mit der Kindheit anfangen. Bei dem, was von den Gesprä­chen in den fertigen Film gekommen ist, mußte ich mich bei einer eben mehr auf ihre sexuellen Erlebnisse beschränken, bei der anderen mehr auf ihre künstlerische Arbeit, bei der dritten mehr auf ihre Krankheit. Ich denke, das Ergebnis ist insofern relativ unkonventionell, als andere Dokumentarfilme die Biographie einer einzelnen Person doch mehr ausschöpfen, als ich das jetzt bei elf Frauen in einem Film konnte

Bei diesem Verhältnis – elf Personen, zweiundachtzig Minuten – ist aber klar, daß du nur einzelne Aspekte herausgreifen und diese auch eher lediglich antippen konntest. 

Aber ich habe trotzdem das Gefühl, daß ich den Frauen gerecht geworden bin. Zumindest alle beteiligten Damen, die den Film schon gesehen haben, hatten nicht den Eindruck, daß ihr halbes Leben weggelassen worden wäre, sondern sie waren sehr vergnügt, wie sie da rüberkommen. Vielleicht ist gerade dieses Antippen der Reiz. Das animiert ja auch dazu, weiterzudenken. Und durch den Schnitt – wenn die eine Frau von ihrer Krankheit erzählt und die andere wird mit einem ähnlichen The­ma gegengeschnitten – erweitert sich das ja auch: das Ganze ist dann mehr als die Summe der Teile. 

Du hättest den Film allerdings auch länger machen können. Die Kürze ist ja ebenfalls wieder typisch Lambert: Wenn es um elf Frauen geht, würden die meisten Regis­seu­re das als prima Rechtfertigung nehmen, um ein mindestens zweieinhalbstündiges Werk daraus zu machen. Noch lieber einen Zweiteiler. 

Ich hab gekürzt, gekürzt, gekürzt, wo es nur ging. Und wenn ich nur mal ein Atmen oder ein Räuspern rausgenommen hab, weil ich wirklich Angst hatte, wenn das nicht Schlag auf Schlag geht, langweilt man sich zu Tode. Albert hat schon beim Schnei­den immer gesagt, daß er den Film sehr interessant fände. Ich hab immer gesagt: Der hat überhaupt kein Thema. Ich hatte das Gefühl, ich hab’s mir wieder unnötig schwer gemacht, denn wenn man ein starkes Thema hat, dann flutscht das ja wie von selbst, wenn man das gedrehte Material zusammensetzt. Dann hab ich mir aber gesagt: Wenn ich das interessant finde und diese Frauen, ihr Leben oder ihre Lebens­art für wichtig genug halte, dokumentiert zu werden, dann ist das erstmal Grund genug. Daß der Film dann von der Berlinale angenommen wurde, ist natürlich eine tolle Bestätigung.

Hast du vor, aus all dem noch mehr zu machen, wenn du noch soviel Material übrig hast? Anders als sonst üblich, wo du ja dafür berühmt-berüchtigt bist, fast ein Dreh­verhältnis von 1:1 zu haben, also in deinen Filmen nahezu alles zu verwenden, was du gedreht hast. 

Nein, das Material ist jetzt erledigt. Es ist ja auch sehr viel davon Talking heads und es wär blöd, dieselbe Interviewsituation in einem anderen Film noch mal zu verwur­sten. Aber ich liebäugle mit der Idee, einen zweiten Teil folgen zu lassen, weil ich noch mehr interessante Frauenschicksale kenne. Ich hab auch überlegt, ob ich dasselbe mit Männern mache, weil ich ja auch ganz interessante Männer kenne –

Ach? 

Ja, zwar nicht so viele wie Frauen, aber einige. Aber da ist eben das Problem, daß Männer nicht so freizügig über ihr Innerstes reden wie Frauen. Da müßte man wahrscheinlich viel mehr bohren und sie wirklich alle sehr gut kennen und locker machen. Dagegen kannte ich einige der in „Alle meine Stehaufmädchen“ portraitier­ten Frauen nicht mal so gut, und trotzdem haben sie alle sofort Vertrauen geschöpft und losgelegt. Ob das nun an mir oder an der Kamera als solcher liegt, kann ich jetzt nicht auseinanderhalten. Wobei ich denke, daß die Anonymität einer Kamera sowie­so dazu animiert, mehr von sich preiszugeben als etwa in einer Runde von Freunden oder Verwandten.

 

 

Das Gespräch wurde am 18. Dezember 2009 geführt von Jan Gympel.